Im letzten Jahr präsentierten wir bei unserem
8. afrikanischen Filmfestival im Studio-Kino in der Bernstorffstraße 50 Filme aus 20 Ländern.
Diese neuen Produktionen vielfach junger afrikanischer Regisseur*innen prangern gesellschaftliche Missstände an, zeigen vielfältiges urbanes Leben und geben oft intime Einblicke in sich verändernde familiäre, soziale und politische Strukturen in afrikanischen Gesellschaften. Auffällig ist, dass die Filme nicht vordergründig politisch sind, sondern sie setzen sich differenziert mit dem Innenleben ihrer Protagonisten auseinander. Unsere Programmauswahl sprach mehr denn je ein breit gefächertes Publikum an und mehrfach wurde bedauert, nicht alle Filme sehen zu können. Das Publikum war besonders bei Diskussionen engagiert wenn die Regisseur*in des gezeigten Films anwesend war.
Wie immer gab es zur Eröffnung des Festivals Fingerfood und Drinks. Diesmal hatten wir den senegalesischen Kora-Virtuosen Saliou Cissokho und den Balafonspieler Mansa Dembele aus Burkina Faso zu einem 40 minütigen Konzert vor der Leinwand des Studio-Kinos eingeladen. Die Zuhörer im ausverkauften Kinosaal lauschten gebannt dem intensiven Wechselspiel zwischen den traditionellen Virtuosen dieser alten westafrikanischen Mandingomusik. Ohne Zugabe konnten Saliou Cissokho und Mansa Dembele den Saal nicht verlassen. Nach der Begrüßung der Gäste, der obligatorischen Rede zur Einstimmung in das Festival und den Danksagungen an unsere Förderer zeigten wir den Eröffnungsfilm Subira.
Einen Schwerpunkt bildeten in diesem Jahr Filme, in deren Mittelpunkt junge starke Frauen stehen, die sich mit ihrer tradierten Rolle nicht mehr zufrieden geben und trickreich bis offen gegen alte Rollenmuster revoltieren. Programmatisch dafür stand unserer Eröffnungsfilm SUBIRA von der anwesenden Regisseurin Rauneet Sippy Chadha aus Kenia. Eine junge Frau von der Insel Lamu kämpft darum, Schwimmen zu lernen – ein ungehöriger Wunsch in der muslimischen Gesellschaft.
Hans-Jörg Heinrich, Sippy Chada, Sahiba Chada
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass Chadha als afrikanische Filmemacherin bei der Entwicklung des Plots auf das heimische Publikum achten und an den Stand der gesellschaftlichen sozialen Entwicklung anknüpfen muss.
In afrikanischen Ländern wurde ihr Film auch ganz anders angenommen als in Europa. Dort wurde ihr Film bisher mit zahlreichen Preisen bedacht.
Der Film KHARTOUM OFFSIDE von Marwa Zein aus dem Sudan zeigt eine Gruppe junger Frauen, die darum kämpft, Fußball spielen zu dürfen obwohl dies den Moralvorstellungen ihrer konservativ-muslimischen Familien und der Gesellschaften widerspricht.
Eiman Seifeldin und Hans-Jörg Heinrich
Zur Diskussion hatten wir die sudanesische Aktivistin Eiman Seifeldin zu Gast, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen im Sudan engagiert. In bewegenden Worten schilderte sie uns die angespannte aktuelle politische Situation im Sudan und den zähen Kampf vieler Frauen um soziale Gleichberechtigung und Mitsprache.
In ihrem rasant gedrehten Road-Movie FLATLAND erzählt die südafrikanischen Regisseurin Jenna Bass anhand des Schicksals dreier junger Frauen von weiblicher Selbstbestimmung unter den gesellschaftlichen Machtverhältnissen in Südafrika. Irgendwo zwischen Polizeithriller,
Emanzipationsgeschichte und Gesellschaftsdrama beerdigt sie dabei ein weiteres Mal den Mythos von der südafrikanischen „Rainbow Nation“. Die zu diesem Film eingeladene Hauptdarstellerin Nicole Fortuin hatte leider kein Visum erhalten, konnte aber per Videobotschaft ihre Verbundenheit mit unserem Festival zum Ausdruck bringen.
Nicole Fortuin
Mit DHALINYARO (JEUNESSE) zeigten wir erstmals einen Film aus Dschibuti. Lula Ali Ismail ist die erste Regisseurin, die dort jemals einen Film gedreht hat. Erzählt wird die Geschichte einer engen Freundschaft zwischen drei selbstbewussten jungen Frauen, die ihre Zukunftsträume zu verwirklichen suchen. Damit vermittelte die Regisseurin den Zuschauern faszinierende Einblicke in das moderne Leben in dem ostafrikanischen Kleinstaat.
Viele afrikanische Länder werden nach wie vor von fundamentalistischen Auseinandersetzungen geprägt. Dazu zeigten wir mehrere Filme. Der tunesische Regisseur Mahmoud Ben Mahmoud erzählt in dem wie ein Krimi aufgebauten Film FATWA von einem jungen Mann, der sich einer radikal-islamistischen Gruppe angeschlossen hat und tödlich verunglückt. Auf der Suche nach den Ursachen seines Todes geraten seine Eltern zunehmend in das Visier von Islamisten.
Der kreativ und radikal inszenierte marokkanische Film RAZZIA von Nabil Ayouch stellt vor dem Hintergrund von Demonstrationsszenen für einen islamistischen Staat fünf Menschen unterschiedlicher Art vor, die alle verzweifelt nach Veränderung, nach Selbstbestimmung und Freiheit streben.
In dem Kurzfilm BROTHERHOOD erzählt die tunesische Regisseurin Meryam Joobeur von einen jungen IS-Kämpfer, der aus Syrien zu seiner Familie zurückkehrt.
Ein Publikumsrenner war der Film der jungen Regisseurin Lucie Viver:
SANKARA N‘EST PAS MORT. Er ist eine Hommage an den ermordeten
charismatischen Präsidenten Burkina Fasos.
Viver begleitet den jungen Poeten Bikontine auf seiner Suche nach Identität und Zukunft auf eine Reise durch das Land. Dort trifft er auf die unterschiedlichsten Menschen, lernt deren verschiedene Lebensverhältnisse kennen und erfährt von ihren Träumen und Enttäuschungen. So zeichnet der Film ein vielschichtiges Bild der Menschen Burkina Fasos, deren Zukunft ungewiss ist.
Burkhard Leber und Lucie Viver
Im anschließenden Filmgespräch erläuterte Lucie Viver, wie sie auf mehreren Reisen zunächst ohne Kamera das Land bereiste, umfassend recherchierte und dabei den Poeten Bikontine kennen lernte, der sich bereit erklärte, als Protagonist des Filmes zu wirken.
In der Tradition des afrikanische Geschichten Erzählens zeigten wir zwei
unterschiedliche Filme aus Burkina Faso und Nigeria.
In ihrem Road-Movie DUGA LES CHAROGNARDS setzen sich die Regisseure Abdoulaye Dao und Hervé E. R. Lengani aus Burkina Faso mit den in Westafrika vertretenen Religionen auseinander. Muslimische, katholische, protestantische, evangelikale und animistische Friedhofswärter verweigern nacheinander die Beerdigung eines Verstorbenen. Der Film ist gespickt mit vielen Seitenhieben auf traditionelle und religiöse Führer, auf Bürokratie und korrupte Polizei, Egoismus und Geldgier. Die satirisch gefärbte Tragikomödie ist für uns Westler ein eher ungewöhnlicher Einblick in eine fremde Kultur.
Sébastien Martineau und Abdoulaye Dao | Filmstill
Im Filmgespräch erläuterte uns der anwesende Abdoulaye Dao, dass in vielen populären Fernsehserien Westafrikas soziale, politische und religiöse Konflikte auf humorvolle Art und Weise in oft skurrilen Geschichten kritisch verpackt werden.
Der Film Duga – die Geier – greift diese populäre Erzählkunst auf.
Ganz anders der Erstlingsfilm Kassala der jungen nigerianischen Filmemacherin Ema Edosio. Der komödiantische Film spielt an Originalschauplätzen in den Armenvierteln von Lagos und hebt sich so von den gängigen Nollywood-Produktionen ab. Edosio erzählt eine tragische Geschichte, mit der sich viele Jugendliche im heutigen Nigeria identifizieren können, denn auch deren Realität erscheint – hoffnungslos.
Ema Edosio und Hans-Jörg Heinrich
Im anschließenden Filmgespräch erklärte Ema Edosio engagiert ihr Anliegen des Films. Die vier lauten, rauhen oft aufdringlichen und albernen Charaktere des Films hat sie bewusst so gewählt, da das die Realität der großstädtischen Jugendliche widerspiegelt. Nur der Lauteste und Brutalste setzt sich durch. Armut und Geldmangel sind vorherrschend und ein kleines Unglück kann eine große persönliche Tragödie hervorrufen. Alles wird jedoch in komödiantischer Manier gespielt, denn das erwartet das nigerianische Publikum. Edosio führt die Handlung ihrer Protagonisten jedoch nie ins Absurde, sondern orientiert sich hart an der Realität. Das deutsche Publikum dankte der Regisseurin für ihre Erklärungen des kulturellen Backgrounds.
Ein außergewöhnlicher Film anderer Art ist der Debutfilm THE BURIAL OF KOJO von dem ghanaischen Musiker Blitz the Ambassador. Darin tauchen die Kinozuschauer in die magische Welt eines kleinen Mädchens. Auf der Suche nach ihrem Vater vermischen sich Bilder aus Fantasie und Wirklichkeit in Welten, die zwischen Leben und Tod existieren. Viele symbolische Bilder müssen noch entschlüsselt werden. Auch die von dem Musiker selbst komponierte Filmmusik trug viel zu der oft magischen Stimmung des Filmes bei.
Leider konnte der Regisseur nicht anwesend sein. Er hätte uns dabei helfen können. So blieb das Publikum nach dem Film zunächst schweigend und nachdenklich auf den Plätzen sitzen.
Wie in jedem Jahr zeigten wir einen Film in Zusammenarbeit mit Amnesty International. Diesmal den sudanesischen Film TALKING ABOUT TREES. Vier alte Veteranen des sudanesischen Films schwelgen in Erinnerungen an ihren „Sudanesischen Filmclub“. In einem totalitär islamisch regierten Land galt es in den 90er Jahren jedoch als gefährlich, Filme zu zeigen und die Kinos wurden geschlossen.
Nun erfahren wir durch die Medien, dass in Khartoum kürzlich wieder erste Filmvorführungen im Freien stattgefunden haben.
Engagiert und kenntnisreich ging Thomas Grand, der Regisseur des Films Poisson d‘or, poisson African – Golden fish, African fish auf Nachfragen des Publikums ein. Mit Ko-Regisseur Moussa Diop zeigten sie in ihrem eindrucksvollen Dokumentarfllm in wunderschönen Bildern das ökologische und ökonomische Drama in der kleinen Hafenstadt Kafountine an der Atlantikküste der Casamance / Südsenegal. Die Fischerei und das verarbeitende Gewerbe sind bedroht von Überfischung durch große Trawler vor der Küste, durch immer knapper werdendes Brennholz und einer chinesischen Fischmehlfabrik.
Dörte Staehler und Thomas Grand
Unter dem ironisch gemeinten Titel We Need Prayers präsentierte The Nest Collective aus Nairobi eine Serie von acht Kurzfilmen. Erzählt werden Alltagsgeschichten, die jedem Kenianer nur zu vertraut sind, herrlich beobachtet und in Szene gesetzt.
Immer wieder taucht der Begriff Afrofuturismus in der afrikanischen Kunstszene auf. Viele Künstler in Afrika und in der Diaspora beschäftigen sich in Science-Fiction-Filmen und in virtuellen Realitäten mit Zukunftsthemen, Visionen und Utopien. Anhand einer Kurzfilmreihe und des gewaltigen Bildwerkes Black Panther von Ryan Coogler wollten wir diesen Begriff in einer Diskussion mit Experten nach dem Film näher untersuchen. Dafür strömte das Publikum in den Saal.
Dazu gewannen wir den in Hamburg lebenden Produzenten und Regisseur Jean-Alexander Ntivyihabwa zu einem Nachgespräch. Für Arte hatte er im Sommer den Film “Africa Rising” als Ko-Regisseur erstellt, der mit einer Würdigung des Films Black Panther begann. Ntivyihabwa stellte heraus, dass im Black Panther-Film afrikanische Traditionen und Mythologien mit modernsten technologischen Elementen verbunden werden, um eine vom Westen losgelöste postkoloniale Identität zu kreieren, die in einer afrozentrischen Zukunft verortet ist. Alle Helden des Films sowie der Regisseur sind im Gegensatz zu bisherigen Science Fiction Filmen afrikanischer Herkunft. Dies wurde in den afrikanischen Communities weltweit gefeiert. Das Publikum dankte mit großem Applaus für die aufschlussreiche Einordnung.
Ebenso fasziniert waren die überwiegend jungen Zuschauer von den tags zuvor gezeigten Kurzfilmen junger meist kenianischer Regisseure zum Thema Afrofuturismus.
Die Musikfilme kamen in diesem Jahr aus Kuba: BAKOSÓ und aus Berlin: AFRO X BEATS X BERLIN. In beiden Produktionen steht der Afrobeat im Mittelpunkt. Das überwiegend junge Publikum war begeistert über die frische Musik. Im kubanischen Film geht die Reise des jungen DJ’s Jigüe von Havanna bis zum 900 km entfernten Santiago, wo er das musikalische afrikanische Erbe der Kubaner noch bewusster vorfindet.
Der Regisseur des Berliner Films David Yaw Debrah war angereist und es gab ein intensives Gespräch über die sich entwickelnde Afrobeats- und House Szene in Berlin, mit dem Wunsch, mehr musikalischen Austausch zwischen Hamburg und Berlin anzuschieben.
Filmstill Bakosó | David Yaw Debrah
Ein besonderes Event in diesem Jahr war die Vorführung von Virtuell Reality (VR)Filmen aus Kenia, Senegal und Ghana in der Zentralbibliothek am Hauptbahnhof. Die Filme präsentieren die vielfältige und stets im Wandel befindliche kulturelle Landschaft des heutigen Afrikas.
Schon zur Eröffnung mit stimmungsvoller Koramusik des senegalesischen Spielers Samba N’Diaye drängten sich Besucher in den Veranstaltungssaal der Zentralbibliothek. Da unsere eingeladenen afrikanischen Gäste leider kurzfristig abgesagt hatten gab Hans-Jörg Heinrich von AUGEN BLICKE AFRIKA e.V. eine kleine Einführung in Absicht und Thematik der Filme
“African Futures”.
Durch sechs VR-Brillen konnten die Gäste die sieben bis zehn minütigen Filme betrachten. Neugier gefolgt von Faszination und Begeisterung waren die meisten Reaktionen auf das neue Seherlebnis. Durch die moderne Technik konnten wir Interesse für Afrika wecken und durch das Interesse an afrikanischen Filmen neue Begeisterung für die VR-Technik. Auch an den folgenden zwei Tagen waren unsere Vorführbrillen die ganze Zeit in Benutzung. Ein großer Erfolg für uns und ein großartiges Erlebnis für die Zuschauer.
Samba N’Diaye
Am letzten Festivalsamstag startete um 22 Uhr unsere Abschlussparty im
MUT-Theater mit afrikanischer Discomusik von Klassikern bis Afrobeat.
Wir nutzten auch die Anwesenheit der afrikanischen Regisseur*innen zu persönlichen Begegnungen, zu intensivem Austausch und Stadtrundgängen mit den Gästen. Daraus folgten Gegeneinladungen und die Beteuerung zu weiterer guter Zusammenarbeit. Rolf gewann sogar zwei Sankt Pauli Fans.
AUGEN BLICKE AFRIKA nach der Eröffnung
Lucie Viver | Thomas Grand Abdou | Hans, Thomas
an den Landungsbrücken: Ema, Hans-Jörg, Thomas, Rolf
Sippy Chada in Övelgönne | Thomas, Abdou, Hans, Rolf
Nachbesprechung in der Kneipe
Mit großer Freude konnten wir im September einen Preis für herausragende Projekte gemeinnütziger Vereine von der Norddeutschen Stiftung für Umwelt und Entwicklung (NUE) entgegennehmen. Wir freuen uns sehr über diese Anerkennung unserer mehr als achtjährigen ehrenamtlichen Arbeit für das Film- und Kulturfestival in Zusammenarbeit mit dem Studio-Kino Hamburg.
Für den Verein die Gründungsmitglieder Burkhard Leber, Ingrid Wernich
und Hans-Jörg Heinrich
Und schließen möchte wir die Nachlese mit einem Dankesschreiben der
Lehrbeauftragten der Universität Lüneburg Ilsemargret Luttemann, die in
jedem Jahr mit einer Reihe von Studenten unser Filmfestival besucht.
The wonderful filmfestival AugenBlicke in Hamburg (the 8th edition!!!) has
closed its curtains yesterday evening and I got so sad but I have to admit that
I need now some time to step back and think about all the wonderful films that
I have seen. What a diversity in styles and genres, we met quite a number of
different film directors and other people who commented on the films or the
political situation of the country from which the films originated. I want to
express my deepest gratitude and admiration for the professional work that
the team of organizers has invested to make the festival such a success and
point of attraction. It gets more and more visitors each year because the
quality of the films and the presentation, the warm welcome to the spectators
transform it into a reliable and good product. It gives us informations on Africa
or certain topis, it provides us with new insights. Thank you so much to Indrid
Wernich, Hans-Jörg Heinrich, Burkhard Leber, Rolf Denkewitz und Astrid
Kühl. We are waiting impatiently for the next festival to come!!!
I give a price to my favourite doumentary “Sankara n’est pas mort” (Sankara
is not dead) from Lucie Viver, another price goes to “The burial of Kodjo” from
Blitz Bazawule together with “La miséricorde du jungle” (The mercy of the
jungle) by Joel Karekezy. Hopefully they all make it to the movies!
Ilsemargret Luttemann